DIE DÄNISCHE MINDERHEIT IN SÜDSCHLESWIG
Von Mogens Rostgaard Nissen, Forschungsleiter, Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig
Nach der auf Grundlage einer Volksabstimmung vollzogenen Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland im Jahr 1920 verblieben etwa 10.000 dänisch gesinnte Bürger auf der deutschen Seite der Grenze. Über diese nationale Minderheit in Südschleswig wurden in den letzten 100 Jahren zahlreiche Filme gedreht. Das Archiv der Dänischen Zentralbibliothek für Südschleswig präsentiert hier eine Reihe dieser Filme und erzählt die Geschichte der Minderheit.
Filme aus Südschleswig - warum?
Bereits im Jahr vor der Volksabstimmung von 1920 wurde ein Film gedreht, der zeigt wie Kinder aus Südschleswig in den Sommerferien nach Dänemark geschickt wurden. Hier konnten sie sich einerseits in der entbehrungsreichen Zeit nach dem Weltkrieg gut und gesund ernähren, und andererseits die dänische Kultur erleben und die dänische Sprache erlernen. Im Laufe der Jahre kamen auf diese Art viele tausend Kinder aus Südschleswig in den Sommerferien nach Dänemark. Für die Südschleswiger, wie sich die Mitglieder der Minderheit bezeichnen, sind die Reisen bis heute von großer Bedeutung für den Kontakt mit Dänemark und den Reichsdänen. In mehreren Filmen über die dänische Minderheit sind Aufnahmen der Ferienkinder darum wichtige Elemente.
Im Laufe der Jahre hat die Minderheit umfangreiche finanzielle und politische Unterstützung von Dänemark erhalten - sowohl vom dänischen Staat als auch von privaten Organisationen, insbesondere vom dänischen Grenzverein. Filmproduktionen über die Minderheit waren also auch möglich, weil kontinuierlich Geld aus Dänemark nach Südschleswig geflossen ist.
Ein wichtiges Ziel vieler Südschleswig-Filme war es dementsprechend, die Minderheit von ihrer besten Seite zu zeigen. Die Filme richteten sich an die dänische Bevölkerung, und die Botschaft war in erster Linie, dass es eine sehr lebendige Minderheit war, die gleichzeitig aber auch Unterstützung aus Dänemark benötigte um fortbestehen zu können. Es war also wichtig, das positive Bild von den Südschleswigern in der dänischen Bevölkerung zu erhalten.
Eine sich verändernde Minderheit unter Druck
Insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand die Minderheit unter starkem Druck der deutschen Kommunal- und Regionalbehörden, wohingegen sich die Bedingungen seit den 1950er Jahren kontinuierlich verbessert und entspannt haben. Allerdings hat sich die Minderheit seit 1920 auch deutlich verändert. In den ersten Jahrzehnten bestand sie fast ausschließlich aus Menschen, die in die Minderheit hineingeboren wurden und die durch dänische Schulen, Sport- und Pfadfinderverbände, sowie jährliche Sommerferienaufenthalte in Dänemark stark von der dänischen Kultur und Denkweise beeinflusst wurden. Heute hat ein großer Teil der Minderheit einen deutschen Hintergrund, da oft keiner der Elternteile zuvor mit der Minderheit oder mit Dänemark verbunden war.
Über die Abstimmung aus dem Jahr 1920 gibt es einige Filme aus der zweiten Abstimmungszone, zu der Flensburg und die Kirchspiele südlich entlang der später gezogenen Grenze gehörten. Der Wahlkampf wurde heftig geführt und es gibt viele Beispiele dafür, dass dänische Versammlungen gestört wurden, genauso wie mehrere dänische Redner vor drohenden Übergriffen fliehen mussten. Die dänische Flagge und dänische Wahlplakate wurden abgerissen oder übermalt, und bei vielen dänischen Haushalten wurden die Fenster eingeschlagen. Es gab einige undemokratische Versuche die Wahl zu beeinflussen, doch auch ohne diese Eingriffe gab es in Flensburg eine sehr große deutsche Mehrheit. Drei von vier Wählern stimmten Deutsch. Die Internationale Kommission, die von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich eingesetzt wurde, hatte den Auftrag, eine friedliche und gerechte Abstimmung zu gewährleisten. Tausende britischer und französischer Soldaten waren zu diesem Zweck in der Region stationiert. Sie konnten aber nicht überall sein um sicher zu stellen, dass alles fair ablief. In den zeitgenössischen Filmaufnahmen lassen sich Anzeichen dieses unversöhnlichen Wahlkampfes erkennen.
Nach der Grenzziehung wurden unzählige dänische Vereine gegründet: Unter anderem der dänische Kulturverein (SSF), Der Schulverein; Jugendverbände; die dänische Kirchengemeinde und der Frauenverband. Im September 1921 fand das erste große dänische Jahrestreffen statt. In den Filmen wurden die jährlichen Treffen als Beweis für das Dänentum der Minderheit und als Ausdruck des Unterschieds zur deutschen Mehrheitsbevölkerung gezeigt. Die Filme veranschaulichen auch die engen Beziehungen zwischen Dänemark und Südschleswig, da viele dänische Politiker - darunter viele Regierungschefs - die Minderheit im Zusammenhang mit den jährlichen Treffen besucht haben.
Unterdrückung durch die Nazis
In den ersten Jahrzehnten nach der Grenzziehung gehörten viele dänisch gesinnte Menschen zu den unteren sozialen Schichten der Gesellschaft, und dies war während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre von großer Bedeutung. Viele wurden arbeitslos und brauchten öffentliche Unterstützung, was sie für die Unterdrückung der Nationalsozialistischen Behörden anfällig machte. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Behörden von dänisch gesinnten Antragstellern die Abmeldung aus dänischen Vereinen und die Ummeldung von Kindern in deutsche Schulen forderten, um öffentliche Leistungen beziehen zu können.
Die Unterdrückung durch das NS-Regime war massiv und viele entschieden sich tatsächlich dafür, die dänischen Minderheitenverbände zu verlassen, um eine Verfolgung zu vermeiden. Obwohl es in der deutschen Verfassung formal eine Reihe von Minderheitenrechten gab, wurden diese Rechte im Alltag missachtet. Daher schrumpfte die aktive dänische Minderheit auf einen kleinen Kern von nur noch etwa 3.000 Mitgliedern des Kulturvereins. Viele Menschen fühlten sich dennoch weiterhin als Dänen, auch wenn sie keine Mitglieder der Minderheitenverbände waren oder und ihre Kinder nicht auf die dänischen Schulen schickten.
Dass die meisten Dänischgesinnten einen deutschen Pass hatten, führte zudem zu der schmerzhaften Tatsache, dass während des Krieges etwa 1.000 junge Südschleswiger als deutsche Soldaten eingezogen wurden, und zwischen 250 und 300 von ihnen ihr Leben verloren.
Während der NS-Diktatur war es für die Minderheit wichtig, gegenüber Dänemark zu kommunizieren, dass das Dänische in Südschleswig unter großem Druck stand und dass die Grenze von 1920 und damit auch das dänische Südjütland bedroht waren. Deshalb reisten mehrere Südschleswiger nach Dänemark und berichteten über die Verhältnisse im nationalsozialistischen Deutschland. Zwei der Redner – Svend Johannsen, Rektor der dänischen Ansgar-Schule in Schleswig, und der Sekretär des Schleswig-Vereins, Frederik Petersen - drehten jeweils ihren eigenen Südschleswig-Film, den sie im Zusammenhang mit ihren Vorträgen zeigten. Sie stellten die dänische Vergangenheit Südschleswigs dar, indem sie verschiedene historische Gebäude und Personen aus der Minderheit portraitierten. Ein weiterer Schwerpunkt der Filme lag auf dem Schulwesen, da der Schutz der Kinder in dieser Zeit für die Minderheit das Wichtigste war. Sie sollten vor dem Einfluss des Nationalsozialismus geschützt werden, indem sie dänische Schulen besuchten, weil sie dann nicht in die Hitler-Jugend und den Bund deutscher Mädel eintreten mussten. Ziel der Filme war es also, die Unterstützung im Kampf gegen die NS-Behörden und die deutsche Mehrheitsbevölkerung zu sichern.
Der nationale Boom der Nachkriegszeit
Nach der deutschen Kapitulation von 1945 wurden mehrere Propagandafilme gedreht, die in Dänemark die Unterstützung für eine neue Abstimmung in Südschleswig sichern sollten. Es hätte in weiten Teilen der Region möglichweise eine Mehrheit für die Eingliederung in Dänemark geben können, wenn in den ersten Nachkriegsjahren ein solches Referendum durchgeführt worden wäre. In Dänemark wurden Hunderttausende von Unterschriften gesammelt, die die Forderung nach einer erneuten Abstimmung unterstützten. Da es jedoch von Seiten der Politik keine Unterstützung für diese Idee gab, verlor das Projekt an Dynamik, und ab etwa 1950 traten viele Tausend Menschen wieder aus den dänischen Verbänden aus.
In den ersten zwei oder drei Nachkriegsjahren hatte sich die Zahl der Angehörigen der Minderheit zunächst 25-fach erhöht, und bei den ersten Wahlen 1946 und 1947 stimmten etwa 100.000 für die dänischen Kandidaten, weshalb es in den größten Städten Flensburg, Schleswig und Husum eine dänische Mehrheit gab. Darüber hinaus wurden in ganz Südschleswig dänische Schulen gebaut, auch in Gebieten, in denen es vor 1939 praktisch keine Dänen gegeben hatte. Szenen aus dänischen Schulen waren darum auch in dieser Zeit ein wesentlicher Bestandteil vieler Filme aus der Region. Der große nationale Aufschwung hatte verschiedene Gründe, aber der Wichtigste war der Wunsch nach einem neuen Referendum, damit das Gebiet ein Teil Dänemarks werden konnte. Wie bereits erwähnt, kam es nicht dazu, denn dänische Politiker befürchteten, dass eine Grenzverschiebung zu einer großen deutschen Minderheit in Dänemark führen würde, die für Unruhe sorgen könnte, was wiederum zu Schwierigkeiten im Verhältnis zu Deutschland führen könnte. Darüber hinaus hatte man noch in Erinnerung, dass Ende der 1930er Jahre als erstes Regionen mit großen deutschen Bevölkerungsanteilen von Hitlerdeutschland dem Reich angegliedert wurden.
Der nationale Aufschwung führte auch in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren zu einer steigenden Zahl von Übergriffen gegen die dänische Minderheit. Erst mit den Bonner Erklärungen von 1955 wurden die Rechte der Minderheit gesichert, und das liberale Prinzip "Minderheit ist, wer will" - etabliert.
Von den frühen 1960er Jahren bis heute haben sich viele mit deutschem Hintergrund dafür entschieden, Teil der Minderheit zu werden. Dies geschah zumeist indem deutsche Eltern ihre Kinder in dänischen Kindergärten und Schulen anmeldeten. Obwohl heute in vielen Haushalten in Südschleswig Deutsch gesprochen wird und nur wenige Familien seit mehreren Generationen zur Minderheit gehören, bedeutet dies nicht, dass sich die dänischen Werte und die dänische Sprache auf dem Rückzug befinden. Im Gegenteil, neue Studien zeigen, dass die dänische Sprache und die dänischen Werte bei der überwiegenden Mehrheit der Dänen in Südschleswig einen hohen Stellenwert besitzen. Die Zehntausende von Menschen, die das dänische Schulsystem in Südschleswig durchlaufen haben, beherrschen beide Sprachen perfekt, genauso wie viele Tausend Südschleswiger in Dänemark studiert oder gearbeitet haben.
In Dänemark ist das Wissen um die dänische Minderheit südlich der Grenze in den letzten Jahrzehnten immer geringer geworden. Südschleswig ist in Dänemark nicht mehr so ein gesellschaftliches Thema, wie noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Dies spiegelt sich auch in den Filmen wider. Ohne dass man sie als „reine“ Informationsfilme bezeichnen könnte, bestand der Zweck doch darin, einem relativ breiten dänischen Publikum von der Minderheit südlich der Grenze zu erzählen, und dass Südschleswig grundsätzlich einen Besuch wert sei. Das neueste Beispiel für diese Art Film ist die im dänischen Hauptprogramm gezeigte Produktion „De glemte danskere“ ("Die vergessenen Dänen") aus dem Jahr 2014.