Dänisch und deutsch im Herzogtum Schleswig
Von Frank Lubowiz, Historische Forschungsstelle der deutschen Volksgruppe
Ein deutsch-schleswig-holsteinisches Bewusstsein in Nordschleswig hat seine Ursprünge in einer langen Geschichte - lange vor der Volksabstimmung von 1920.
Die Identität der deutschen Nordschleswiger ist mit einer Landschaft verbunden, in der sowohl dänische Einflüsse aus dem Norden als auch deutsche Einflüsse durch die enge Verbindung mit Holstein wirksam waren, sie ist somit geprägt von den beiden Kulturen, die sich hier begegnen. Dieser historische Prozess begann bereits im Späten Mittelalter, als wirtschaftliche, sprachliche und kulturelle Einflüsse von Süden auf das Herzogtum Schleswig einwirkten, diese hatten über Generationen auch eine große Bedeutung für das dänische Staatswesen.
Auch wenn in Schleswig deutsche und dänische Einflüsse über Jahrhunderte aufeinandertrafen, war es die persönliche Entscheidung eines jeden Einzelnen sich kulturell und sprachlich der einen oder anderen Seite zugehörig zu fühlen. Auch auf staatlicher Ebene wurde im dänischen Gesamtstaat ein jeder in seiner sprachlichen und kulturellen Identität anerkannt und respektiert
Erst im 19. Jahrhundert wurde das Herzogtum Schleswig zum Zankapfel zwischen Deutschen und Dänen, als in der Zeit des nationalen Erwachens Sprache und Kultur als Ausdruck einer nationalen Entscheidung betrachtet wurden. Unter Berufung auf ein „historisches Recht“ erhoben nun beide Seiten ihren Anspruch auf das Herzogtum Schleswig.
Wie immer man es auch betrachtet, so war das Herzogtum Schleswig zwischen dem Ersten Schleswigschen Krieg 1848-1851 und 1920 - selbst als es nach dem Zweiten Schleswigschen Krieg von 1864 aus dem dänischen Gesamtstaat an Preußen kam und preußische Provinz wurde und ab 1871 zum Deutschen Reich gehörte, in seinem nördlichen Teil eher dänisch geprägt - diese Hälfte strebte nach Dänemark. Demgegenüber war die Mehrheit im Süden deutsch geprägt und betonte die Verbundenheit mit Holstein und Deutschland.
Preußen versuchte, die dänischgesinnte Bevölkerung im nördlichen Schleswig durch Sprachverordnungen zu germanisieren. Das gelang jedoch nicht und der dänische Bevölkerungsanteil blieb in Nordschleswig bis zum Ersten Weltkrieg zahlenmäßig bemerkenswert stabil.
Volksabstimmung 1920
Am Ende des Ersten Weltkrieges bot sich dem dänischgesinnten Teil der nordschleswigschen Bevölkerung die Möglichkeit mit Unterstützung durch Dänemark eine Volksabstimmung über die künftige Zugehörigkeit Schleswigs einzufordern. Wie auch für andere national umstrittene Gebiete wurde für im Versailler Friedensvertrag eine Abstimmung festgelegt, die in zwei Abstimmungsgebieten einmal en-bloc (1. Abstimmungszone: Von der nördlichen Grenze Schleswigs an der Königsau bis zur sogenannten Clausen-Linie, der heutigen Grenze) und in einer 2. Abstimmungszone südlich der Clausen-Linie gemeindeweise erfolgen sollte. Nordschleswig stimmte am 10. Februar 1920 mit 75% der abgegebenen Stimmen für eine Verbindung mit Dänemark. In der 2. Zone stimmte die überwiegende Mehrheit für den Verbleib bei Deutschland. Die Clausen Linie, die die 1. Von der 2. Abstimmungszone trennte, wurde damit zur neuen Grenze.
Schleswig wurde somit aufgrund des nationalen Selbstbestimmungsrechts geteilt und Nordschleswig wurde in Dänemark eingegliedert, während das südliche Schleswig weiterhin mit Holstein im deutschen Staat blieb. Das war auch die Geburtsstunde der deutschen Volksgruppe in Dänemark, die innerhalb der dänischen Mehrheit in Nordschleswig ihre Schwerpunkte in den Städten, besonders Tondern, aber auch in Apenrade und Sonderburg sowie in Hadersleben und außerdem im ländlichen Raum des südlichen Nordschleswig hatte.
Die deutsche Volksgruppe in Dänemark zwischen 1920 und 1945
Die ersten Jahre nach der Volksabstimmung von 1920 waren auf deutscher Seite stark von der Forderung nach einer Grenzrevision geprägt, da man sowohl den Zeitpunkt und die Form der Abstimmung, vor allem aber den Wahlmodus einer en-bloc-Abstimmung kritisierte. Durch die Schaffung einer umfangreichen Vereins- und Organisationsstruktur für den deutschgesinnten Bevölkerungsteil in Nordschleswig sollten deutsche Kultur und Sprache als eine Grundlage für eine spätere Grenzrevision gestärkt werden. Sprachlich-kulturelle Interessen gingen Hand in Hand mit politischen Forderungen. Schließlich führte die Betonung nationaler Interessen zu nationalistischen Forderungen und für viele Angehörige der deutschen Volksgruppe war damit der Weg in den Nationalsozialismus vorgezeichnet. Die Machtübernahme der Nationalsozilisten in Deutschland hatte starke Auswirkungen auf die deutsche Volksgruppe. Und mit der deutschen Besetzung Dänemarks am 9. April 1940 erfuhr das Verhältnis zwischen der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig und der dänischen Mehrheitsbevölkerung ihre stärkste Belastungsprobe, die bis 1945 anhielt. Annähernd 2.700 junge deutsche Nordschleswiger hatten sich freiwillig zur Teilnahme am Zweiten Weltkrieg gemeldet. Dies und das nationalsozialistische Engagement der Volksgruppe führte nach dem Zweiten Weltkrieg dazu, dass viele Mitglieder der Volksgruppe nach gesetzten mit rückwirkender Kraft verurteilt wurden (Rechtsabrechnung)
1945: Bund deutscher Nordschleswiger
Allerdings wurde bereits im November 1945 auch der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) gegründet, der der deutschen Volksgruppe eine neue politische Richtung gab und das Fundament für die gesellschaftliche Anerkennung der deutschen Nordschleswiger als gleichberechtigte und gleichwertige dänische Staatsbürger legte. Die bedeutsamste Änderung der Haltung der deutschen Nordschleswiger zeigte sich 1945 darin, dass man auf die Forderung nach einer Grenzrevision verzichtete und in der Gründungserklärung des Bundes Deutscher Nordschleswiger erklärte, loyale Staatsbürger Dänemarks sein zu wollen – loyal gegenüber dem dänischen Staat, seiner Verfassung und dem Königshaus.
1955: Bonn-Kopenhagener Erklärungen
Das sollte den Weg öffnen, der schließlich zu den ”Bonn-Kopenhagener Erklärungen” von 1955 führen sollte. In diesen parallelen Erklärungen Dänemarks und Deutschlands jeweils gegenüber der Minderheit in eigenen Land, wurden von Seinen der dänischen Regierung der deutschen Minderheit alle staatsbürgerlichen Rechte in Dänemark bestätigt und die deutsche Bundesregierung bestätigte gleichfalls diese Rechte für die dänische Minderheit in Deutschland. Diese Erklärungen gelten als vorbildlich für die Behandlung nationaler und sprachlicher Minderheiten in Europa, sie sind allerdings der besonderen Situation des deutsch-dänischen Grenzlandes entsprungen, bei der auf beiden Seiten der Grenze eine Minderheit lebt, die mit der sie umgebenden Mehrheitsbevölkerung in einem engen Zusammenhang lebt. Die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig genießt den die Anerkennung und den Schutz aufgrund der Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten und der Charta zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen.
Aber bedeutsamer als diese rechtlichen Instrumente ist im deutsch-dänischen Zusammenleben im Schleswigschen Grenzland jener Geist der Toleranz und Akzeptanz auf allen Ebenen, sowohl im politischen Leben als auch in der Gesellschaft. Hier kann man ein gutes Miteinander von Minderheit und Mehrheit feststellen, das in vielen alltäglichen Aspekten sichtbar wird, wenn sich zum Beispiel die deutschen Nordschleswiger aktiv daran beteiligen, das politische, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Leben Dänemarks mitzugestalten und dabei ihre eigene deutsch-nordschleswigsche Identität bewahren.
Von den ca. 250.000 Einwohnern der vier nordschleswigschen Kommunen fühlen sich ungefähr 6-8 % der deutschen Volksgruppe zugehörig. Ihre kulturelle Verbindung nach Schleswig-Holstein und Deutschland steht in keiner Weise im Widerspruch zu ihrer staatsbürgerlichen Loyalität gegenüber Dänemark. Die deutsche Volksgruppe sieht die Rolle ihrer Institutionen und Vereine als Brückenbauer zwischen deutsch und dänisch und wird von ihren dänischen Landsleuten, Nachbarn und Freunden auch so gesehen.